
Am Wochenende wurde ich durch Klebstoff radikalisiert. Es war ein Versehen.
Möglicherweise hatte ich es noch nicht erwähnt, aber ich bin unter anderem mit dem Autor*innenzusammenschluss 13 mit Feder auf der Leipziger Buchmesse. Und da ich unglaublich enthusiastisch und schlecht mit Zeitmanagement bin, habe ich angeboten, als kleines Goodie Lesezeichen zu basteln. Ich hab nämlich so eine Präge- und Stanzmaschine zuhause und zufälligerweise auch Feder-Schablonen, das passt ganz hevorragend.
Wer mich nicht kennt, dem sei gesagt: Ich bin nicht gut im Basteln. Das wurde mir schon in der Grundschule bestätigt. Beispielsweise hatten meine Werkstücke immer sichtbare Kleberspuren. Gab natürlich schlechte Noten. Tja, dachte ich mir, das findest du jetzt wohl schnell raus, wie man Kleberspuren vermeidet. (Wie gesagt: Enthusiastisch und schlecht mit Zeitmanagement.)
Weißt du, wie man die vermeidet?
Man kauft den GUTEN Kleber. Den teuren, den meine Eltern sich nie leisten konnten. Nicht den für (damals noch) DM 0,99 für die 200 ml-Flasche aus dem Discounter, sondern den für (aktuell) € 6,99 für 50 ml. Ich wollte den einfach mal ausprobieren, und soooo viel Klebstoff brauche ich ja gar nicht. Um ehrlich zu sein, ich war überzeugt, mit dem höheren Preis kauft man in erster Linie ein Marken-Etikett.
Siehst du auf dem Foto oben, ob ich gekleckst habe? Nee, siehste nicht. Und ich schwöre, ich hab gekleckst. Nicht viel, ich war ja vorsichtig. Aber der verdammte teure Kleber, den meine Eltern sich nicht leisten konnten, trocknet tatsächlich einfach unsichtbar. WTF??
Na gut, eine Kunst- oder Werken-Note in der Grundschule ist nicht direkt weltbewegend, wenn man es auf das ganze Leben umrechnet. Trotzdem bin ich empört. Diese Ungerechtigkeit! Meine Mitschüler*innen waren gar nicht alle ordentlicher und sorgfältiger und besser im Basteln als ich – wenigstens nicht alle. Einige von ihnen hatten wahrscheinlich einfach den guten Kleber. Wer also, grob überschlagen, das vierfache (minus Inflation etc., umgerechnet auf den Literpreis) für Klebstoff zahlen kann, kauft sich damit einen Notenvorteil.
Außerdem wissen wir, dass das nicht beim Klebstoff Halt macht. In der Oberstufe hatte ich einen Mitschüler, der einfach in jedem einzelnen verdammten Fach wöchentlich Nachhilfe bekommen hat. Bis zum Abi. Wie teuer ist Nachhilfe aktuell? Sagen wir, der Einfachheit halber, 20 Euro/Stunde? Und wie viele Fächer hat man in der Oberstufe noch? Das Internet behauptet, es seien 12. Variiert wahrscheinlich von Bundesland zu Bundesland. Ich rechne mal großzügig zwei ab, Sport und Kunst. Und behaupten wir, es gibt noch zwei Fächer, die der Schüler vielleicht auch ohne Nachhilfe stemmt. Bleiben noch acht Stunden Nachhilfe pro Woche, à 20 Euro. Also 160 Euro pro Woche – für ein Kind. (Wir waren drei Kinder zuhause.) Wer sich das leisten kann, kriegt auch ein weniger schulisch begnadetes Kind durchs Abi. (Disclaimer: Der Schüler hatte keinen Einser-Schnitt. Auch keinen Zweier-Schnitt. Aber wer schaut, wenn du erst einmal erwachsen und im Beruf angekommen bist, jemals wieder auf die Abi-Note?)
Und so hat mich ein freiwilliges Bastelprojekt für die Leipziger Buchmesse noch ein wenig stärker radikalisiert.
Die kleberspurenfreien Lesezeichen gibt es auf der LBM übrigens am Stand E304 in Halle 5, etwa beim Buchkauf. Ein paar von meinen Büchern sind auch dort.
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