Es ist ja Wahlkampf. Hast du bestimmt schon mitbekommen. Und weil alle Parteien enthusiastisch fordern, man solle doch mit ihnen in den Dialog treten, habe ich genau das gemacht. Genauer: Ich habe dem regionalen CDU-Menschen, Dr. Streeck, eine eMail geschrieben – eigentlich zwei. Und weil es so lustig war, teile ich diese eMails hier mit euch.
Sehr geehrter Dr. Streeck,
Obwohl ich nicht sicher bin, ob es legal ist, trotz „Keine Werbung“-Aufkleber Wahlwerbung einzuwerfen, folge ich mal der Aufforderung und schreibe Ihnen.
Zuerst einmal: Ich bin keine CDU-Wählerin – zu woke, zu hippie-esk, zu gutmenschlich. Ich mag technischen Fortschritt und die Natur und die Idee, dass alle Menschen grundsätzlich gut sind, auch wenn sie nicht in die Kirche gehen und auf fragwürdige Weise nach Deutschland gekommen sind. (Ich war schon lange nicht mehr in der Kirche, es ist nicht mein Haus – lustigerweise habe ich, im Gegensatz zu den meisten Christen, die Bibel komplett gelesen und finde sie interessant, sie ist nur nicht für mich.)
Zurück zum spannenden Teil der Mail: Was machen Sie mit der Tatsache, dass Ihr Kanzlerkandidat mit Nazis kooperiert? Was macht es mit Ihnen?
Nicht nur bin ich woke, ich bin auch die Tochter einer Immigrantin. Mein Großvater war in den Vierzigern als niederländischer Soldat in deutscher Kriegsgefangenschaft. Vielleicht können Sie sich vorstellen – dass seine Tochter einen Deutschen heiratet, war für ihn undenkbar. Es hat eine Weile gedauert, bis er einsehen konnte, dass sein Schwiegersohn, obwohl deutsch, ein anständiger Mensch ist. Und ich bin sehr dankbar, dass er diesen epischen Fuck-Up einer angeblich christlichen Partei nicht mehr miterleben muss. (Mein Großvater war ein solider Kulturchrist, wie die meisten Ihrer Wähler.)
Keine Ahnung, worauf ich hinaus will – haben Sie sich überlegt, welchen Kanzlerkandidaten Sie unterstützen? Was tun Sie, falls Sie im Bundestag sitzen und es erneut zu so einer verabscheuungswürdigen Abstimm-Situation kommt? Sie sind Wissenschaftler – auch wenn es nicht Ihr primäres Fachgebiet ist, können Sie gewiss die historischen und politikwissenschaftlichen Papiere lesen und verstehen. Dann verstehen Sie, dass eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD kein „Kavaliersdelikt“ ist. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich anständig verhalten.
Meine Güte, wie sehr ich gerade Dr. Merkel vermisse, obwohl ich sie nie gewählt habe. Der wäre so etwas nicht untergekommen.
Mit freundlichem Gruß
Diandra Linnemann
***
Guten Morgen, Dr. Streeck!
Nur noch eine kleine Rückfrage, vielleicht kann Ihr Team mir das direkt mitbeantworten:
Sind Sie *sicher*, dass Sie mit jemandem kooperieren möchten, der öffentlich eine Putsch-Behörde à la DOGE fordert? Mit anderen Worten – wie rechtsstaatlich wollen Sie vorgehen? Oder verstehe ich das falsch und das ganze ist gar kein ungeschicktes Missverständnis, sondern ein konservativer feuchter Traum? Und falls Sie jetzt überrascht sind, habe ich Ihnen zwei Screenshots von/zu Frank Thelen angehängt, der offenbar mit Ihnen kooperiert und zum anderen Elon Musk ganz toll findet, weil er (das habe ich aus weiteren Posts extrapoliert und erspare es Ihnen jetzt) die ganzen furchtbaren woken Menschen am liebsten weg oder doch wenigstens geknebelt hätte?
(Offtopic: Lustig, dass jemand, der die deutsche Rechtschreibung online so arg mit Füßen tritt wie Herr Thelen, gleichzeitig behauptet, inklusives Gendern mache Texte unlesbar. Möglicherweise sollte man in Deutschland ein Lesekompetenzprogramm für Erwachsene anbieten, ich sehe da die Schwäche nämlich nicht beim Genderstern, sondern bei Herrn Thelen – gut, möglicherweise bin ich auch nur hart gehässig. Wenn ich als Legasthenikerin mit zwei Muttersprachen inklusiv gegenderte Texte problemlos lesen und schreiben kann, KANN das nicht so schwer sein.)
Gut, damit will ich die wertvolle Zeit Ihres Teams auch nicht länger verschwenden. Das ist möglicherweise die größte Menge an Aufmerksamkeit, die die CDU je von mir erhalten wird. Denken Sie darüber nach, was ein signifikanter Teil der Bevölkerung aktuell öffentlich fordert. Gehen Sie in sich. Überlegen Sie, ob Sie sich für Ihre Partei und Ihren Kanzlerkandidaten wirklich nicht schämen. Und bleiben Sie, bei allen Differenzen, bitte am besten gesund.
Mit freundlichem Gruß
Diandra Linnemann
Die Screenshots, auf die ich mich beziehe, sind die hier:


Ich weiß, das bringt alles nicht viel. Aber wenn ich schon meist nicht die Energie habe, mich auf Demos herumzutreiben, tu ich das, was ich am besten kann – viele kluge Wörter in neuen Kombinationen auf Leute loslassen.
Falls es eine Antwort geben sollte, zeig ich die hier. Aber ich glaub natürlich nicht dran.
Entdecke mehr von diandras geschichtenquelle
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.