Stell dir vor, es klingelt an deiner Wohnungstür. Du bist zu Gesellschaft aufgelegt und öffnest. Im Treppenhaus stehen Onkel Herbert und Tante Melanie (es sei denn, du hast einen supernetten Onkel Herbert, dann steht draußen dein imaginärer Onkel Marcel-Fridolin-Bisamratte mit Tante Clementine-Amalia-Windschutzscheibe). Und die haben etwas mitgebracht!
„Hier, schau mal auf diesen Flyer!“
Äh, danke, aber du brauchst kein Kaminholz. Du hast nicht einmal einen Kamin.
„Aber der Flyer!“
Schön?
„Nimm einen! Oder besser noch: Nimm fünf und verteil sie an deine Freunde!“
Noch einmal: Du hast keinen Kamin. Deine Freunde haben auch keinen Kamin. Ob Onkel und Tante jemals eine Wohnung von innen gesehen haben, die nach 1950 gebaut wurde?
„Dann komm eben her!“ Dein Onkel wirft sich dir an den Hals, hält den Flyer hoch und zückt das Telefon für ein Selfie. „Wenn wir dem Holzverkäufer beweisen, dass wir seinen Flyer herumreichen, kriegen wir Rabatt! Sicher, dass du keine Freunde mit Kamin hast?“
Ganz sicher. Du denkst an dein warmes Sofa und unterdrückst einen Seufzer.
„Wenn du auch Flyer verteilst, die du von uns bekommen hast, kriegen wir mehr Rabatt – und wir gewinnen vielleicht eine Kaminholz-Skulptur! Aber immer schön dran denken, ein Beweisfoto zu machen!“
Oh, wie schade! Dir fällt gerade ein, dass du ganz dringend im Keller Kartoffeln zählen musst, die laufen morgen alle ab.
„Du hast einen Kartoffelkeller?“
Also, das ist doch mindestens so wahrscheinlich wie ein eigener Kamin. Nach drei weiteren Selfies zur Sicherheit schiebst du Onkel Schnapüdelo-Kaminski und Tanke Sachertorte-Kanarienvogel ins Treppenhaus, schlägst die Tür zu und schnaufst tief durch. Auf diese Art von Gesellschaft kannst du gut verzichten. Und aus dem Wohnzimmer winkt auch schon dein Sofa. Sofa ist lieb.
(Falls dich diese Geschichte auch nur im Entferntesten an so manches absurde Social-Media-Gewinnspiel erinnert, bist du ein kluger Kopf. KOMMENTIER HIER! TEIL DAS! FOTOGRAFIERE DICH NACKT MIT EINEM AUSDRUCK DIESES POSTS! Leute, es geht mir auf den Sack. Das ist nicht mehr „social“, das ist ein Schneeballsystem.)
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Da waren die Kettenbriefe von früher ja beinahe harmlos. Das Schlimmste, was bei Nichtbefolgung passieren konnte, war die Verfluchung all deiner Nachfahren bis in die 17. Generation. Nachdem ich aber schon der 3. Generation vermutlich unbekannt und relativ egal sein werde, bin ich das Risiko gerne eingegangen und habe Briefpapier gespart 😉
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In SoMe ist ein Problem, dass der Algorithmus meist belohnt, wenn man so Unarten pflegt. Je mehr Leute deine Posts kommentieren, teilen oder anklicken, desto mehr Leute kriegen den Post gezeigt, auch wenn sie der Seite nicht folgen. Aber da das auf dem Rücken der Follower passiert, bin ich kein Fan. Keine Ahnung, wie man das besser machen könnte, aber … es nervt.
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