
Orr, ich hab Schnappatmung. Stellt euch eine wütende Forelle vor, oder von mir aus eine Flunder. Möglicherweise wisst ihr das, aber ich schreibe ja nicht nur Bücher und merkwürdige Blogposts – im Brotjob bin ich Übersetzerin für medizinische Fachtexte. Und ich behaupte, ich bin darin gar nicht mal so schlecht – möglicherweise fast schon ein bisschen gut. Auf jeden Fall mache ich das seit vielen Jahren mit anhaltender Begeisterung und bin mitunter sogar stolz auf das Endergebnis.
Jemand, dem ich eigentlich relativ viel Sachverstand zutraue (oder bis gerade eben zugetraut habe), hat in einem Artikel jetzt sinngemäß erklärt, Übersetzen sei ja nicht so schwer. Wer eine Sprache auf B-Level könne, könne definitiv auch schon übersetzen. (Weiter ging es dann darum, dass das ja deswegen keine Kunst sei und es keine KI-Regulierungen für KI-basierte Übersetzungen brauche, das ist ein anderes Thema … BTW, wusstet ihr, dass Übersetzer*innen das Urheberrecht an ihren Übersetzungen halten, weil die als eigenständige Texte gelten? Jetzt wird es kompliziert, ich lass das mal so stehen.)
Wer wissen möchte, was „B-Level“ bedeutet, ich kopier euch mal eben eine Definition:
B1 – Fortgeschrittene Sprachverwendung
Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.
B2 – Selbständige Sprachverwendung
Kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen; versteht im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen. Kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist. Kann sich zu einem breiten Themenspektrum klar und detailliert ausdrücken, einen Standpunkt zu einer aktuellen Frage erläutern und die Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten angeben.
(Quelle)
Das klingt doch schon nach etwas, oder? Klaro kann man mit diesem Level an Sprachverständnis/-verwendung übersetzen!
(Plattenscratschgeräusch.)
Ähm, ja, möglicherweise nicht. Zum einen enthält erst Level C auch das Verstehen implizierter Textinhalte (das, was zwischen den Zeilen steht), flexiblen Sprachgebrauch (verschiedene soziale Levels, Stilvariationen, …) und das Wiedergeben komplexer Sachverhalte. So etwas ist für eine ordentliche Übersetzung unabdingbar. Aber damit ist es nicht getan.
Gut, ja, wenn es darum geht, für Tante Walburga ein Chocolate-Chip-Cookie-Rezept zu übersetzen, kommt man mit B-Level-Englisch möglicherweise schon hin (schnell: Wie schwer ist „one stick of butter“ in US-amerikanischen Rezepten? Wie schwer ist „1 cup of flour“? Was verwendet man als „Sour Cream“?), aber Übersetzen ist viel mehr als: „Ich nehme dieses Wort in der Fremdsprache und schlage nach, was es in meiner Sprache bedeutet.“
Nicht umsonst studiert man Übersetzen üblicherweise an der Uni, und zwar auch mehrere Jahre. (Ich habe fürs Diplom sieben gebraucht, das war etwas mehr als die Regelstudienzeit.) Und das Studium besteht nicht nur aus Sprachkursen. Man studiert auch kulturelle Besonderheiten der anderen Kulturen. Und ein wesentlicher Teil der Zeit geht für Sprach- und Übersetzungswissenschaften drauf. Das war mein Lieblingszweig, ein wirklich spannendes Gebiet, ich habe die Fachbücher zuhause und schmökere da gerne drin. Man lernt eine Menge darüber, wie Kommunikation funktioniert und welche Arten von Kommunikation es gibt, auf welche Bedeutungsebene man sich bewegen kann, welche Funktionen eine Übersetzung erfüllen kann/muss, ob das Zielpublikum von Bedeutung ist etc. Viel davon verwendet man später im Übersetzungs-Alltag, etwa bei der Textanalyse oder wenn man sich für einen Stil für die Übersetzung entscheidet.
(Abschweifend: Mir persönlich fehlt im ÜS-Studium ja noch der verfeinerte Gebrauch der Muttersprache – viele erwachsene Menschen (auch solche mit Uni-Abschluss) scheitern am genauen Lesen und Erfassen komplexer Texte, da sollte man auch bei Übersetzer*innen vorbauen. Aber ich jammere gern auf hohem Niveau.)
Und eine weitere Superkraft von Übersetzer*innen: Wenn die Person, die den Ausgangstext verfasst hat, dabei so richtig Mist gebaut hat (Stichwort Speech-to-text-Hasshölle), können wir das wieder geradebiegen. Je nachdem, was das Ziel der Übersetzung ist, finden wir glaubwürdige Methoden, die Textfehler in der Zielsprache nachzubauen, oder wir merzen sie aus und verbessern den Zieltext gegenüber dem Ausgangstext sogar.
Wer wissen will, wieviel Einfluss Übersetzer*innen auf Texte haben, soll sich mal einen Buchklassiker nehmen und verschiedene Übersetzungen dazu anschauen. Ein häufiger genanntes Beispiel hierfür ist „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow. Ich bleib hier so lange sitzen, schaut euch das mal an.
Halte ich KI-Tools als Übersetzungshilfe denn jetzt für böse? Natürlich nicht. Irgendwann können sie möglicherweise sogar menschliche Übersetzer*innen vertreten. Aktuell fehlt aber noch das tiefere Textverständnis. Sogar wenn ein KI-übersetzter Text auf den ersten Blick solide klingt, merkt man beim analytischen Lesen schnell, wo Bezüge nicht richtig hergestellt werden oder Hintergrundwissen fehlt, um den Text (und die Übersetzung) im kulturellen Kontext einzuordnen.
Langer Schimpftirade kurzer Sinn: Wenn man von etwas keine Ahnung hat, sollte man vielleicht öfter mal die Fresse halten. Und auf keinen Fall sollte man auf die fachlichen Leistungen in Bereichen, von denen man keine Ahnung hat, spucken. Ich geh doch auch nicht Buchcover kritisieren oder erzähle Automechaniker*innen, das bisschen Schrauben sei keine Leistung, so einen Ölfleck auf der Hose könne sich jeder holen.
Andererseits … ich war in Bio ganz gut, und ich habe auch schon mal „Dr. Bibber“ gespielt. Wer von euch würde sich von mir operieren lassen? So schwer kann das gar nicht sein, das bisschen Aufschneiden und Herummatschen.