Die hupende Männlichkeit

CN: Fatshaming, Beleidigung

Wenn das Wetter es zulässt, fahre ich ja gern mit dem Rad. Und weil wir auf einem Berg wohnen, schiebe ich gegen Ende des Heimweges öfter mal ein Stück. So auch neulich Abend, nach einem langen Tag, es wurde allmählich dunkel.

Gelegentlich fahren auf dieser Straße auch Autos. Das ist kein Problem, der Geh-/Radweg ist baulich getrennt. An dem Abend kam von hinten ein weißer Audi mit Kennzeichen aus dem Umland, die Scheibe heruntergelassen, Uffzta-Musik auf den Lautsprechern. Und ich wusste schon, was da kommt.

„Schön weiterschieben, Fetti!“ Dreimal auf die Hupe drücken, Gelächter, aufbrüllender Motor und Abgang.

Ich bin ja nicht schüchtern, brülle also „FICK DICH!!!“ und schiebe weiter.

Ein paar Minuten später kommt mir dieses Auto entgegen. Selber Programm. Diesmal sehe ich den Fahrer. Er ist maximal zwanzig, blond, trägt ein Polohemd. Für ihn ist das ein Riesenspaß. Ich meine, klar. Der ultimative Beweis seiner Überlegenheit: Eine fremde Frau anpöbeln, die vom Alter her seine Mutter sein könnte. Da werden seine Freunde ihn für bewundern. Wenn er danach nicht direkt zum Alpha-Schrömpel aufsteigt, weiß ich auch nicht.

Im Ernst, ich kann diese pöbelnden Kinder auf der Suche nach der verlorenen Männlichkeit nicht ernstnehmen. Schnuppi, du hast gerade mal einen halben Bart, und der sieht aus, als sei eine Raupe auf deinem Gesicht verendet. Willst du nicht lieber erst ein wenig über die Welt lernen und dir vielleicht einen eigenen Wagen verdienen, anstatt aus Papis (oder Mamis) Leasinglimousine heraus schlechtes Benehmen über die Landschaft zu verbreiten?

Autos! Solidarisiert euch mit den Fahrrädern!

Heute morgen auf dem Weg ins Büro hatte ich eine Begegnung der anderen Art.

Ich war mit dem Rad unterwegs – die letzten schönen Tage ausnutzen, du weißt schon. Und auf diesem Weg kam ich an eine Stelle, an der eine Autofahrerin mit ihrem Wagen, in einer Straßeneinmündung stehend, dne Radweg blockierte.

Logischerweise hielt ich an.

Sie ließ ihr Fenster herunter und rief: „Entschuldigen Sie, die Stelle ist sehr unübersichtlich. Vielen Dank, dass Sie warten!“

Ich antwortete: „Kein Ding, hier kann man wirklich schlecht gucken.“

Dann wünschten wir einander einen schönen Tag. Ihr bot sich eine Lücke, sie fuhr, ich fuhr.

Dieser Austausch hat vielleicht eine Minute gedauert. Jetzt war ich heute nicht besonders spät dran, aber sogar wenn doch – genau diese Art Austausch wünsche ich mir im Straßenverkehr. Konstruktiv, respektvoll und miteinander statt gegeneinander. Oder wie es so schön auf die Wege zwischen den Feldern auf der anderen Seite des Walds aufgebracht ist: „Rücksicht macht Wege breit.“

Ehe mich jemand missversteht – ich fahre gern Auto, ich fahre gern schnell (oder würde, wenn unser Auto mich ließe) und ich schimpfe wie ein Rohrspatz. Aber ich versuch schon hart, niemanden zu töten, wenn ich unterwegs bin. Für mich ist Straßenverkehr wie ein Gesellschaftsspiel: Wir gewinnen, wenn alle heil ankommen.

Auf dem Rad seh ich das natürlich ähnlich, wobei ich da in erster Linie nicht selbst sterben möchte. Und keine Fußgänger*innen umdengeln, oder kleine Tiere. Dazu gehören auch Strategien, die ein leichtfertiges Überholen unwahrscheinlich machen – zum Beispiel fahre ich in kurzen Engstellen, in denen der Mindestabstand eh nicht eingehalten werden kann, NICHT so dicht wie möglich am Rand. Da müssen eventuelle Autos hinter mir eben warten. In langen Engstellen halte ich natürlich und mach Platz, ehe sich der Verkehr hinter mir zu lange staut.

Gut, manche Autofahrer*innen regt das auf. Ich bin mit Aufblendlicht, Hupe und Schimpfwörtern wohlvertraut. Dabei ist jede Person auf dem Fahrrad eine weniger, mit der man um Parkplätze konkurriert, und eine Person weniger an der Ampel vor einem. Da kann man die 30 Sekunden Langsamfahren ruhig mal in Kauf nehmen. Finde ich. Also, rein subjektiv.

Und wer nicht warten möchte (oder kann)? Sollte sich am besten für sichere, baulich getrennte Radwege stark machen. Dann kann man auf der Straße heizen, was die PS einen heizen lassen (und die Straßenverkehrsordnung und die Polizei), und die Fahrräder bleiben schön unter sich. Das wär mir, ehrlich gesagt, auch lieber.

Aber ich bin ja nur so eine merkwürdige alte Frau mit Tentakeln auf dem Helm. Was weiß die schon?

E-Mail Betreff: Dank für Mitnahmeangebot

Liebes (Baustoffhändler)-Team,

bitte leiten Sie meinen Dank an die Person weiter, die heute morgen auf der ABC-Straße zwischen 123-Str. und XYZ-Gasse offenbar der Ansicht war, die alte Frau auf dem Rad brauche dringend eine Mitnahmegelegenheit. Alle haben es heutzutage eilig, deswegen weiß ich das sehr zu schätzen. Allerdings möchte ich mich lieber als „Frau auf Fahrrad“ fortbewegen und nicht als „Frau auf Fahrrad, an LKW gematscht“ – das ist kulturell, ich bin nicht von hier.

Der Abschnitt Straße, auf dem sich die motorisierten Fahrzeuge die Fahrbahn einspurig mit dem Schutzstreifen teilen müssen, ist ungefähr 200 Meter lang, und da herrscht Tempo 30. Klar, 30 (oder 35, geht ja bergab) ist immer noch besser, als hinter einem ca. 15 km/h fahrenden Rad bleiben zu müssen, und wir haben es alle eilig (siehe oben). Aber die Engstelle ist wirklich nicht lang. Menschen mit größeren mathematischem Verständnis (und höherem Koffeinpegel) als ich könnten die Verspätung ausrechnen, die man auf dieser Strecke erleidet, wenn man nicht überholt. Ich überschlage mal optimistisch, dass sie sich im Sekundenbereich bewegt.

Falls bei Ihren fahrzeugführenden Personen Auffrischungsbedarf besteht, können sie die aktuell geltenden Regeln online leicht nachlesen (Stichwort StVO-Novelle 2020).  Zusammengefasst: Beim Überholen von Radfahrern muss innerorts ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten werden. Da ich Ihr Fahrzeug heute morgen problemlos mit der Hand hätte berühren können, behaupte ich mal, dass das keine 1,5 Meter waren.

Um das mit der Eile noch einmal ins Verhältnis zu setzen: Ich bin wirklich nicht schnell. Auf der Strecke zwischen 123-Straße und (Werkstatt) hat Ihr Fahrzeug mich dreimal überholt. Das spricht eindeutig für den Arbeitseifer Ihres Personals, aber gegen die generelle Verkehrsgeschwindigkeit in unserem Ort zu Stoßzeiten. Auch deswegen möchte ich anregen, dass wir alle etwas mehr Entspannung walten lassen und die endlosen Sekunden warten, bis ein Überholvorgang gefahrlos möglich wird.

Eine letzte Bitte: Schimpfen Sie Ihre Mitarbeiter nicht. Sprechen Sie sie halt drauf an. Es war für alle eine lange, anstrengende Woche, und niemand sollte schlechtgelaunt ins Wochenende gehen. Ich möchte nur, dass wir alle das Wochenende auch erreichen.

Mit freundlichem Gruß

Diandra Linnemann

Schützenswerte Investitionen

Dunkelblau-metallic-farbener Fahrradhelm.
Nein, das ist keine ultramoderne Wassermelone.

Als halbe Niederländerin (eigentlich zwei Drittel Niederländerin, darum gibt es von mir auch soviel ^^ ) hege ich ja eine traditionelle Verachtung für Fahrradhelme. Kein Wunder, in einem Land, das komplett platt ist und in dem alle anderen Verkehrsgegnerteilnehmer auch nur mit zwei Rädern und ein wenig Blech bewaffnet sind.

Jetzt lebe ich allerdings nicht in den Niederlanden, sondern in einer Gegend mit minimal mehr Steigung. Und vor allem Gefälle! Steigungen kann man ja hinaufschieben, aber wer ein Gefälle nicht wild juchzend mit weit von sich gestreckten Beinen hinabrast (und innerlich betet, dass der Blödsinn nur ja nicht schiefgehen möge), gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis.

Lange habe ich gehadert. Soll ich? Soll ich nicht? Eigentlich ist es ja unter meiner Würde … andererseits: Ich bin nicht hübsch. Und tanzen kann ich auch nicht. Mein Kopf (also das, was drin ist) ist mein schützenswertestes Kapital. Und deswegen trage ich jetzt beim Fahrradfahren artig Helm. Sogar ganz innovativ mit Rücklicht!

Deswegen ist es dann auch nicht schlimm, dass die Farbe etwas dunkler ausgefallen ist.

(Eigentlich wollte ich ja einen rosa Helm, aber der hätte sich mit meiner Gesichtsfarbe gebissen. Schließlich ist Radfahren, wenn man es so wie ich betreibt, nicht nur Fortbewegung, sondern auch Selbstverteidigung und Sport!)