Wenn man wenig freie Zeit und noch weniger Energie hat, bleibt an Stelle von Demonstrationen und Aktionen nicht viel, womit man seinen Unmut kundtun kann. Also schreib ich immer mal wieder eMails, die wahrscheinlich niemand lesen wird – außer dir natürlich. Heute ist es kurz und knackig.
Ich würde gerne „sehr geehrter“ schreiben, aber das will mir nicht aus den Fingern, also …
Herr Dobrindt!
Würden Sie bitte umgehend die nach aktueller Rechtsauffassung illegalen Grenz-Zurückweisungen einstellen? Das wär echt Hammer. Ich kann mir vorstellen, dass das lästig ist (geht mir an der roten Ampel auch immer so), aber Gesetze etc. gelten schon für alle – auch für Sie. Eigentlich sogar besonders für Sie. Schließlich sind sie so etwas wie ein Vertreter des Rechtsstaates. Verhalten Sie sich doch bitte auch so. Ich bin sicher, Sie finden immer noch genügend Tätigkeitsfelder, die Ihnen Spaß machen.
Das „mit freundlichem Gruß“ will auch nicht so flutschen, also verbleibe ich mal einfach so.
Diandra Linnemann
PS: Wissen Sie, wie unglaublich lästig die Grenzkontrollen sind, und wie hart wir das damals als Bevölkerung mit Verwandten und/oder Arbeitsstellen im EU-europäischen Ausland gefeiert haben, als die abgeschafft wurden? Sonst fragen Sie mal den Herrn Laschet, der hat da auch jüngere Erfahrungen mit, hab ich gehört.
Politik
Zur Glaubwürdigkeit des WDR
Wusstest du, dass der WDR seeeehr um seine Glaubwürdigkeit besorgt ist? Ja, so hab ich auch geguckt. Und weil ich mich für extrem lustig halte, habe ich das natürlich mit einem Leserinnenbrief quittiert, den ich dir nicht vorenthalten möchte.
Liebes WDR-Team, sehr geehrte Frau Vernau,
um die Glaubwürdigkeit des WDR zu erhöhen, finde ich, Sie sollten auch meine Meinung zu verschiedenen politischen Themen abbilden. Zwar hat mich niemand gewählt, aber ich bin eine genau so absurde politische Randerscheinung wie die AfD (und viel weniger menschenfeindlich). Also:
Ich fordere ein Verbot hässlicher Hüte.
Alleinstehenden Frauen ab 30 sollten gratis Katzenbezugsscheine zugeteilt werden.
Für eine Waldspaziergangspflicht (und wer seinen verdammten Müll nicht mitnimmt, wird mit dem Kopf in die Wildsausuhle getunkt).
Ihr Publikum wartet sicher schon angespannt auf diese und weitere Weltgedanken, die ich Ihnen nur zu gerne zukommen lasse.
Okay, und jetzt im Ernst? Ich dachte, es ist inzwischen klar, dass wir nicht mit Demokratiefeinden und Faschisten spielen. Das kann doch nicht so schwer sein. Lassen Sie bitte die AfD aus Ihren Gesprächsrunden und Meinungsbildern raus … oder ordnen Sie sie wenigstens deutlich als die Flitzpiepen ein, die sie sind.
Mit freundlichem Gruß
Diandra Linnemann
Welche politischen Forderungen möchtest du vom WDR veröffentlicht sehen?
Was zum Henker, Herr Merz???
Es hätte ja so schön sein können. Egal, wie zerstritten und garstig gegeneinander giftend die deutschen Parteien, in einem sind sie sich einig: Niemand spielt mit den Nazis.
Bis gestern.

Jetzt sind Autor*innen (und Künstler*innen generell) ja durchaus politisch motivierte, freidenkende und streitbare Geschöpfe. Innerhalb weniger Tage hat sich jetzt allerdings, in Reaktion auf all die absurden Dinge, die in der Politik und in der Welt aktuell geschehen, ein Zusammenschluss gefunden: Die Autor*innen gegen Rechts. Egal, was wir uns sonst so denken: Darauf können wir uns einigen.
Jetzt mag man anmerken, nur „gegen“ etwas zu sein, sei noch keine Haltung, doch ich werfe ein: „Kein Rosenkohl“ ist eine genau so valide Haltung wie „keine Nazis“. Ob wir stattdessen eine Basisdemokratie haben wollen, das Königreich der Drachen oder doch lieber ein Matriarchat zur Anbetung des großen Hummergottes, darüber können wir später streiten. Wenn gerade nicht deutsche Politiker*innen mit Kanzlerschaftsanspruch mit der AfD gemeinsam Mehrheiten ergaunern (ich sehe Sie an, Herrn Merz!), Gewalttaten nur zur politischen Stimmungsmache ausgeschlachtet werden und Gedenkveranstaltungen zu den Gräueltaten der 30er und 40er Jahre von irgendwelchen Blitzbirnen gestört werden, für die „nie wieder ist jetzt“ nur gilt, wenn sie über ihre eigene Reflektionsfähigkeit nachdenken sollen – haben wir noch nie gemacht, fangen wir jetzt nicht mit an.
Einige denken jetzt vielleicht: Toll, da stellt sich eine hin und schreibt was, interessiert doch keinen. Möglicherweise ist das wahr. Ich erwarte jedoch, dass sich ganz viele hinstellen und Dinge schreiben, malen, sagen, dichten, herausbrüllen, … – und dass diese einzelnen Handlungen einen kumulativen Effekt entwickeln. Wenn du also kannst: Geh zu Demos. Schreib deinen Abgeordneten. Schreib der CDU im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Schreib Blog Posts, SoMe-Beiträge und Forenrants. Positionier dich öffentlich. Sprich mit deinen Mitmenschen – sonst wachst du in nicht allzu ferner Zukunft auf und hast sehr viel weniger von denen, und die alle in der gleichen langweiligen Geschmacksrichtung.
Und sag jetzt nicht, ich sei eine Schwarzseherin. Wir haben all den Käse vor nicht einmal hundert Jahren schon gehabt. Wir sehen in anderen Staaten, wie es ausgeht, wenn faschistische Kräfte plötzlich „Verantwortung“ übernehmen. Das können und (hoffentlich) wollen wir uns nicht noch einmal erlauben.
Genug gerantet. Demnächst wieder Katzen und Blümchen und Zeug.
Das Schwiegersohnlächeln
Vor einigen Tagen bog ich vorschriftsmäßig mit Blinken im Schrittempo an der dafür vorgesehenen Stelle auf den Parkplatz unseres lokalen Supermarktes ein.
Ein junger Mann, die Nase fest am Smartphone-Bildschirm, lief mir einfach in die Spur, ohne zu gucken.
Er bemerkte mein (bremsendes) Auto, sah auf und knipste ein 300-Watt-Schwiegersohn-Lächeln an.
In dem Moment erkannte ich den jungen Mann.
Er ist der Spitzenkandidat einer konservativen Partei für die anstehende Landtagswahl. Dieses Lächeln sieht man hier aktuell auf gigantischen Plakatwänden.
Und um ehrlich zu sein: Leute, die auf Kommando so lächeln können, sind mir ein wenig unheimlich. Echtes Lächeln ist immer ein wenig „goofy“, mit Falten und Zähnen und einem etwas dusseligen Gesichtsausdruck. Das Schwiegersohnlächeln muss man üben. Wahrscheinlich kann man Personal-Schwiegersohnlächeln-Trainer bestellen. Wer so lächelt, verfolgt einen Zweck und will bitte unbedingt sympathisch rüberkommen.
Wie so ein Staubsaugerverkäufer.
Wie dem auch sei, er ging beiseite, ich habe ihn nicht überfahren und ihn später im Vorbeigehen am Wahlwerbestand seiner Partei vor dem Supermarkt gesehen. Da war das Smartphone natürlich verschwunden, das Lächeln festgetackert und mindestens drei ältere Damen sehr eingenommen von der ehrlichen, warmherzigen Art des jungen Mannes, der doch bestimmt auch sehr kompetent sei.
Möglicherweise ist er das sogar.
Möglicherweise hat er diesen Eindruck aber auch nur trainiert, wie das Schwiegersohnlächeln.
Was soll ich groß schreiben?
Ich bin keine politische Expertin. Mein historisches Wissen ist begrenzt.
Doch wer hätte gedacht, dass man im 21. Jahrhundert noch einmal explizit sagen muss:
KRIEG SCHLECHT. MACHT DAS NICHT.
Ich bin fassungslos und verstehe nicht, wie man heutzutage darauf kommen kann, in ein fremdes Land einzumarschieren. Klar: Die Propaganda, die Ablenkung, die geopolitischen Überlegungen, die Allmachtsfantasien. Aber das hat nichts mit Verstehen zu tun – das ist die Analyse, das ist mein Kopf.
Ich hoffe, dass die furchtbare Situation in der Ukraine sich schnell möglichst friedlich und mit möglichst wenig Verlusten bereinigen lässt. Ich hoffe, dass die Ukrainer*innen ihre Heimat möglichst schnell wieder bewohnen und genießen können. Und ich hoffe, dass die Verantwortlichen mit allen Konsequenzen zur Rechenschaft gezogen werden.
